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Am Montag, dem Tag zwischen der Trainerschelte von Uli Hoeneß und dem Champions-League-Duell des FC Bayern München gegen Real Madrid, stellte ein Journalist Joshua Kimmich eine Frage mit Tücken.
Ehrenpräsident Hoeneß habe Trainer Thomas Tuchel bekanntlich gerade vorgehalten, dass er Fußballer nicht verbessere, begann der Reporter auf der Pressekonferenz in München. Und Kimmich? Habe Tuchel denn ihn zu einem besseren Spieler entwickelt?
Kimmich hielt inne. Der 29-Jährige ging als Schlüsselspieler im Mittelfeld in diese Saison, er galt vielen als das Gesicht des FC Bayern München. In der Rückrunde jedoch war er nach rechts hinten versetzt worden. Dass ihm die neue Position nicht schmeckt, ist kein Geheimnis. Das gilt auch für den Umstand, dass sein Verhältnis zu Trainer Tuchel nicht das beste ist.
»Allein das hilft dir schon als Spieler, besser zu werden«
Kimmich richtete sich auf seinem Stuhl auf. Dann antwortete er. Er habe unter Tuchel unterschiedliche Rollen ausgefüllt, sowohl als die defensivere Sechs als auch die offensivere sowie als Rechtsverteidiger gespielt: »Allein das hilft dir schon als Spieler, dich zu entwickeln und besser zu werden.«
Falls er einen Groll hegt gegen Trainer Tuchel und dessen Entscheidung, ihn als Rechtsverteidiger aufzubieten, verbarg Kimmich diesen gekonnt. Statt eine neue Baustelle zu eröffnen, eine weitere Ablenkung vom Halbfinalhinspiel gegen Madrid am Abend (21 Uhr; Stream: Amazon Prime Video; Liveticker SPIEGEL.de), ließ er das Thema an sich abprallen.
Man kann das so interpretieren, dass sich Kimmich damit dem Teamerfolg unterordnet. Voller Fokus auf Real Madrid und das Ziel, das Tuchel am Montag so formulierte: Man wolle nicht nur ins Finale der Königsklasse nach Wembley, man wolle es auch gewinnen.
Möglicherweise hat Kimmich auch erkannt, dass es tatsächlich besser läuft für seine Mannschaften, seit er nicht mehr im Mittelfeldzentrum agiert, sondern hinten rechts. Das gilt für die in der Champions League auftrumpfenden Bayern wie für die Nationalelf, wo Bundestrainer Julian Nagelsmann ebenso wie Tuchel verfuhr.
Jenes DFB-Team feierte zuletzt einen Aufschwung mit Kimmich in der Abwehr und Toni Kroos sowie Robert Andrich als Doppelsechs. Bei den Bayern setzt Tuchel in jenem Bereich seit Ende Februar auf Leon Goretzka und Konrad Laimer oder Aleksandar Pavlović.
Bei der Suche nach einer Antwort auf die Frage, wieso Kimmich plötzlich nicht mehr Mittelfeldspieler ist, sondern Außenverteidiger, landet man beim jüngsten Auftritt des FC Bayern.
Schwierige Lösung statt einfacher Pass
Der vergangene Samstag, die Münchner spielen daheim gegen Frankfurt. In der Hinrunde hatte die Eintracht sensationell 5:1 gewonnen. Kimmich, da noch Sechser, leistete sich damals einen schwerwiegenden Fehlpass, der zum dritten Gegentreffer führte.
Das Rückspiel verläuft erheblich besser. Die Bayern lassen kaum Chancen zu, gewinnen 2:1. Kimmich spielt hinten rechts und er macht seine Sache gut. Nur einmal unterläuft ihm ein heftiger Fehler, genau dann, als er nicht an der Außenlinie bleibt, sondern ins Mittelfeldzentrum zieht.
Dort entscheidet sich Kimmich gegen den einfachen Pass, er lauert auf eine bessere Lösung.
Als er noch regelmäßig im Zentrum spielte, gab es kaum einen Fußballer in Europas Topligen, der den Ball häufiger aus der Abwehr in den Angriff beförderte als Kimmich.
Das ist der positive Effekt seiner ambitionierten Spielweise.
Doch wenn er die Lücke für den Vorwärtspass nicht findet, kommt ein Negativeffekt zum Tragen.
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Gegen die Eintracht sucht und sucht Kimmich, aber er findet keine Option, die ihm zusagt. Dann geht ihm die Zeit aus, er wird attackiert, verliert den Ball.
Kimmichs Offensivdrang kann eine Waffe sein, allerdings eine, die nicht bloß die gegnerische Abwehr in Bedrängnis bringt, sondern mitunter auch die eigene.
Selbst wenn der Ball in Momenten wie gegen Frankfurt nicht beim Gegner landet, kann Kimmichs Suche nach der Ideallösung ein Problem für seine Mannschaften werden. Denn wer mit Ball läuft, statt den Ball laufen zu lassen, verschleppt oftmals das Tempo.
Die große Stärke des Aleksandar Pavlović, dem 19 Jahre alten Talent, dem Tuchel oftmals den Vorzug vor Kimmich erteilte, besteht in seinem einfachen Spiel. Wenn Pavlović den Ball erhält, spielt er ihn weiter, schleunig und sauber. Die Bayern können damit einen gegnerischen Abwehrblock bewegen und Lücken auftun.
Auf der Suche nach dem Schlüsselpass
Kimmich scheint dagegen so sehr auf der Suche nach dem Schlüsselpass, dass er den einfachen übersieht.
Ein Problem, das als Rechtsverteidiger weniger ins Gewicht fällt. Dort sind die Optionen weniger, dafür sorgt die Seitenauslinie. Zugleich kann Kimmich viele seiner Stärken einbringen. Denn Bayerns rechte Abwehrseite wirkt stabiler mit Kimmich, sie wirkt aber auch gefährlicher. Drei Vorlagen gelangen ihm in neun Bundesligaspielen seit der Versetzung. Hinzu kommt der Siegtreffer im Viertelfinalrückspiel der Königsklasse gegen Arsenal.
Sein Mut, Wege in den Angriff zu wagen; seine Technik, die ihn zu einem wertvollen Flankengeber werden lässt; auch der Biss und die Aufmerksamkeit in der Defensive werden gegen Madrid darüber mitentscheiden, ob die Bayern sich durchsetzen.
Kimmichs Gegenspieler dürfte zumeist Vinícius Júnior heißen. Reals 23 Jahre alter Flügelspieler zählt zu den am schwierigsten zu verteidigenden Fußballern überhaupt.
»Momentan einer der besten Dribbler und Eins-gegen-eins-Spieler in Europa«, formulierte es Kimmich. Es sei schwierig, so jemanden im Alleingang zu stoppen. Dies müsse »mannschaftstaktisch« geschehen, also im Kollektiv.
Seine Bewunderung für den Gegner aus Madrid wurde sehr deutlich. Real erreiche teilweise die nächste Runde in einem Wettbewerb, ohne die bessere Mannschaft in einem Duell gewesen zu sein, sagte Kimmich – und meinte das als Kompliment. »Weil sie eben an ihre Stärke glauben, ihre Qualitäten kennen.«
Für den angeschlagenen FC Bayern München könnte das im Frühjahr 2024 die Blaupause sein.